Tagung 20. und 21. September 2024
50 Jahre Absage des 5. Deutschen Jugendhilfetages: Neue Zwäge - alte Potentiale?
„Die APO tanzte, die Reaktion kreischte und der Veranstalter distanzierte sich. So endete der
4. Jugendhilfetag 1970 in Nürnberg. Dieses Ende dokumentiert die Ohnmacht der etablierten Jugendhilfe, ihr ängstliches Schielen auf die der kapitalistischen Verfassung der BRD verpflichteten Politiker, die über weitere Subventionen der Jugendhilfeverbände zu entscheiden haben.“ (Kurt Sprenger 1974: Sozialarbeit und der 5. DJHT. In: Informationsdienst Sozialarbeit, Heft 6. Frankfurt: 35-38)
Tagung des Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit in Hamburg am 20. und 21. September 2024
Die Aufbruchszeit der „68er“, verbunden mit der Heimrevolte 1969, bewegte auch die Sozialarbeiter*innen. Die autoritären Strukturen in Schule, Kindergarten, Jugendzentren, aber auch in den Psychiatrien und in den Knästen sollten aufgebrochen werden - dabei wurde das eigene Handeln zum Gegenstand der
Kritik gemacht. Auf dem 4. Deutschen Jugendhilfetag (DJHT) 1970 in Nürnberg präsen- tierte sich diese Sozialarbeiteropposition als Sozialistische Aktion Jugendhilfetag zum ersten Mal. Es ging ihr darum, die repressive und individualisierende Sozialarbeit vom idealistischen bürgerlichen Kopf auf materialistische Füße zu stellen.
„Jugend und Recht“ sollte das Thema des für den 8. – 11. September 1974 in Hamburg geplanten 5. DJHT sein. Die Arbeitsgemeinschaft Jugend- hilfe (AGJ) sagte diesen jedoch ab – als Antwort auf die Ak- tivitäten der Sozialistischen Aktion, welche die „Umfunktionierung“ und „Gefahr einer Sprengung“ des Jugendhil- fetages mit sich zu bringen drohten (AGJ-Pressedienst zur Absage des 5. DJHT, 30.05. 1974). Man wollte nicht zulassen „daß mit erheblichen Steuermitteln letztlich die Selbstdarstellung von Gruppen finanziert wird, die die freiheitlich demokratische Ordnung unseres Staates bekämpfen“ (ebd.). Die Sozialistische Aktion Jugendhilfetag Hamburg sah in dieser Absage ihre Einschätzung bestärkt, „daß der Jugendhilfetag lediglich der schein-demokratischen Legiti- mation der Jugendpolitik der regierungs- und verbandsbürokratischen Kräfte dienen und die Loyalität der Fachbasis gegenüber dem bürgerlichen Staat sicherstellen sollte“ (Presseerklärung Sozialistische Aktion Jugendhilfetag Hamburg, 25.5.1974).
50 Jahre später wollen wir zusammen mit Protagonist*innen der Sozialistischen Aktion, der AGJ und heutigen Aktiven die Absage des 5. DJHT zum Ausgangspunkt nehmen, um über Kontinuitäten, Konsequenzen und Schlussfolgerungen für heute ins Gespräch zu kommen. Dabei sollen u.a. folgende inhaltliche Kontroversen in den verschiedenen Ar- beitsfeldern der Jugendhilfe in den Vorträgen und Workshops vertieft und auf ihre Aktualität überprüft werden:
• Kita: Ein Beispiel für die Vergesellschaftung von Erziehung: Von der Aufbewah- rung zur sozialpädagogischen Bildung?
• (Offene) Kinder- und Jugendarbeit: Ein Ort autonomer Weltaneignung und politischer Bildung oder von Prävention, wohlkalkulierter Freizeitgestaltung und in- dividueller Selbstbestimmung?
• Heimerziehung: Verlegen und Abschieben oder ein Ort der verlässlichen Koope- ration und solidarischer Lebensweltorientierung?
• Jugendhilfe: Kriminalisierung und Psychiatrisierung von Jugendlichen oder Handlungsfähigkeit in schwierigen Situationen?
• Professionalisierung: Die Rolle der Selbstorganisation der Fachkräfte bei der Entwicklung von Widerstand und Protest
• Jugendhilfe insgesamt: Kompensatorische Erziehung vs. demokratische Bildung.
Diese Erinnerungs- und zugleich Aktions-Tagung wird am 20. und 21. September 2024
in der Universität Hamburg stattfinden.
Die Tagung soll mit zwei Vorträgen eröffnet werden:
• Reinhart Wolff wird als Protagonist der Sozialistischen Aktion zu den gesell- schaftspolitischen Hintergründen und den zentralen Konfliktfeldern vor 50 Jahren sprechen.
• Sinah Mielich (AKS Hamburg) wird als Protagonistin der heutigen Sozialarbei- teropposition die aktuellen Kontroversen in der Jugendhilfe thematisieren.
In einer Podiumsdiskussion mit u.a. Norbert Struck (ehem. Vorsitzender der AGJ) und Susanne Maurer (kritisch – feministische Wissenschaftlerin, Universität Marburg) sol- len die in den Vorträgen dargestellten Kontroversen weiter diskutiert werden.
Günter Pabst (damals Sekretär des „Arbeitsfeldes Sozialarbeit“ und der Zeitschrift „In- formationsdienst Sozialarbeit“ im Sozialistischen Büro) wird am zweiten Tag den refor- mistischen bis revolutionären Strömungen nachspüren.
Wir laden alle Interessierten ein, dieses Vorhaben – auch mit eigenen Ideen und Vorschlägen – zu unterstützen und daran mitzuarbeiten. Anmeldungen werden ab jetzt gerne entgegengenommen!
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