Ausgabe Nr. 1/2020
Themenheft: "Visuelle Erkenntnisproduktion"
Inhalt
Aufsäze
Fragmentierte Sichtbarkeiten: Visualität, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit beim Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten
Felicitas Heßelmann und Martin Reinhart
Während es in den letzten Jahren zwar zahlreiche Skandale um Fälschungs- oder Plagiatsfälle gab, bleiben große Teile des Umgangs mit wissenschaftlichem Fehlverhalten an Universitäten, Zeitschriften und anderen Institutionen im Dunkeln. Diesen Kontrast zwischen einzelnen weithin sichtbaren Skandalfällen und dem überwiegend vertraulich stattfindenden Umgang mit anderen Fällen nimmt dieser Beitrag mittels der begrifflichen Unterscheidung zwischen Visualität, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit in den Blick. Dabei zeigt sich, dass das spezifische Verhältnis dieser drei Bereiche beim Umgang mit Fehlverhalten unter anderem durch die Fragmentierung und Prekarität wissenschaftlicher (Straf-)Autorität beeinflusst ist und wiederum auf diese Strafautoritäten zurückwirkt.
Visualisierter Verdacht: zur geheimdienstlichen Sehensordnung im Spiegel von Stasi-Unterlagen
Olga Galanova
Nutzungs- und Verwaltungspraktiken von Bildern und Texten in Akten des Staatssicherheitsdienstes der DDR (Stasi) sind insofern interessant, als sie die Ordnung des professionellen Sehens der Stasi beschreiben lassen und einen Einblick in die Instrumentalisierung von Visualisierungen bei der geheimdienstlichen Verdachtsgenerierung ermöglichen. Geleitet durch die allgemeine Fragestellung, wie Kriminalität visuell hergestellt wird, fokussiert sich der Aufsatz darauf, was die Visualisierungspraktiken in dienstlichen Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes über das professionelle Sehen der Stasi aussagen. Der vorliegende Beitrag liefert einen Überblick über unterschiedliche Visualisierungsgenres in Stasi-Akten, die im Prozess der Verdachtsgenerierung an unterschiedlichen Stellen eingesetzt werden. Die zentrale Leistung der Visualisierung besteht dabei in der Entkontextualisierung privater Lebensereignisse und in der Sicherung institutioneller Macht.
Die Sichtbarmachung des Heroinkonsums
Lisa Scheibe
Ziel dieses Beitrages ist es die Rolle von Visualisierungen in der Drogenprävention, im Speziellen im Bereich Heroinprävention, zu betrachten. Dabei wird der Fokus daraufgelegt, Visualisierungen stärker in die Analyse der Wirklichkeitskonstruktion miteinzubeziehen, um besser verstehen zu können, wie sich alltägliches Wissen über Heroin konstituiert. Des Weiteren wird das Zusammenspiel von Visualisierungen und der Instrumentalisierung von Emotionen thematisiert. Als theoretisches Fundament dient der auf die Sprache fokussierte Sozialkonstruktivismus nach Berger und Luckmann.
Diskussionbeiträge
Bewegende Beweise – Bilder als Stimuli für eine andere Strafzumessungsforschung. Ein Plädoyer
Selma Lamprecht
In Folge des „ikonischen Zeitalters“ und der Vielfalt visueller Formate wächst auch die Bedeutung von Bildern als Beweise vor Gericht. In der deutschen Strafzumessungsforschung ist Visualität jedoch kein Thema. Dabei können Bilder und die ihnen zugeschriebene Emotionalität nicht nur als Einflussgröße die Strafzumessungsforschung bereichern. In diesem Beitrag sollen sie auch als Impuls für eine Öffnung der Strafungleichheitsforschung skizziert werden.
Die fotodokumentarische Tradition: Auf Abwegen zu einer sinnlicheren Kriminologie
Jeff Ferrell
Dorothea Lange, Henri Cartier-Bresson, Robert Frank und andere Begründer*innen der fotodokumentarischen Tradition entwickelten ein eigenes Set von Techniken und Sensibilitäten, um die Besonderheiten der sozialen Welt visuell festzuhalten. In diesem Sinne entstand aus ihrer Arbeit nicht nur eine Sammlung beeindruckender dokumentarischer Fotografien, sondern auch eine innovative Methodik zur Auseinandersetzung mit sozialen Gruppen und sozialen Fragen. Diese Methodik beinhaltet Dynamiken von Vertreibung, Wandelbarkeit, Unmittelbarkeit, Abwesenheit, Empathie und Immersion, während sie gleichzeitig bescheiden hinsichtlich ihrer Charakterisierung als Methode bleibt. Aus diesem Grund stehen die fotodokumentarische Tradition und ihre Methodik im Gegensatz zu den oft rigorosen, fetischisierten Methoden der Kriminologie und anderer zeitgenössischer Sozialwissenschaften. Die fotodokumentarische Tradition bietet Einblicke in das Thema der visuellen Repräsentation; ebenso wichtig aber sind ihre Einblicke in grundlegende Verfahrensweisen der Interaktion und Interpretation.
Tagungsbericht
„Opfer//Täter-Inversionen. Mediale Studien zu Täterhandeln und Gewalterfahrungen“. Bericht über eine multidisziplinäre Tagung am 14.06.2019 an der Humboldt-Universität zu Berlin (Dürmeier/Günther/Schulthess)
Buchbesprechung
Axel Doßmann, Susanne Regener: Fabrikation eines Verbrechers. Der Kriminalfall Bruno Lüdke als Mediengeschichte (Lautmann)