Ausgabe Nr. 3/2020
Kriminologisches Journal 3/2020
Inhalt
Aufsäze
Varianzen der Verselbstständigung der Polizei per Gesetz. „Gefährliche Orte“ im bundesweiten Vergleich
Svenja Keitzel
In jedem der 16 Landespolizeigesetze in Deutschland findet sich eine Norm, die sogenannte verdachtsunabhängige Identitätskontrollen in ausgewählten Raumausschnitten durch die Polizei ermöglicht. Die Voraussetzungen zur Einrichtung dieser „gefährlichen Orte“ sind rechtlich weitgehend unbestimmt und das Verfahren dazu geschieht in der Regel polizeiintern. Im vorliegenden Aufsatz wird argumentiert, dass durch die im Gesetz verankerte Unbestimmtheit eine Verselbstständigung der Polizei angelegt ist, die länderspezifisch je nach Kräfteverhältnis im zuständigen Staatsapparat und kritischer Intervention seitens Zivilgesellschaft oder Parlament unterschiedlich eingehegt wird und zu einer Varianz an Verfahrenspraxen zu „gefährlichen Orten“ führt. Anhand eines Überblicks aller Polizeigesetze und mittels der exemplarischen Analyse von vier Bundesländern (Hessen, Bremen, Baden-Württemberg, Sachsen) wird die These der Varianzen der Verselbstständigung erläutert.
Fehlklassifikationen bei politisch links motivierter Kriminalität
Jens Struck
Der vorliegende Beitrag diskutiert vor dem Hintergrund politisch links motivierter Aufrufe zu Straftaten die Arbeit des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes zu politisch motivierter Kriminalität. Der Aufsatz argumentiert, dass die polizeiliche Zuordnung das diskursstabilisierende Resultat der etablierten und unterkomplexen Links-Rechts-Skala sowie polizeilicher Definitionsmacht ist. Mit Hilfe einer Aktenanalyse von polizeilich als links eingeordneten, online geäußerten Aufrufen zu Straftaten werden einschlägige Fälle exemplarisch illustriert und deren Klassifikationen diskutiert.
Täter-Opfer-Ausgleich: Eine Geschichte der „lautlosen Disziplinierung“ der Restorative Justice in Deutschland
Christop Willms
Restorative Justice hat das bestehende Justizsystem in Deutschland weder grundlegend reformiert noch zu einer Senkung der Inhaftierungsraten geführt, sondern nur das vorhandene Sanktionssystem einer „sovereign justice“ ausdifferenziert. Einen Erklärungsansatz hierfür liefern Mathiesens Arbeitspapiere zur „lautlosen Disziplinierung“ von sozialen Bewegungen. Falls Restorative Justice tiefgreifendere gesellschaftliche Veränderungen bewirken soll, muss sie konsequent als Wertebekenntnis verstanden werden und sich von ihrer „Justizabhängigkeit“ emanzipieren.
Diskussionsbeitrag
Covid-19: Präventive Sicherheitsordnung 2.0
Aldo Legnaro/Daniela Klimke
Der Essay versucht eine vorläufige Einordnung der gegenwärtigen Seuchenpolitik. Vor dem Hintergrund einer Analyse der Krisen-Rhetorik wird Covid-19 als eine Regierungstechnologie betrachtet, die, so die These, auf eine Disziplinargesellschaft neuen Typs hinausläuft.
Buchbesprechungen
Didier Fassin: Der Wille zum Strafen (Krasmann)
Robert Feustel/Henning Schmidt-Semisch/Ulrich Bröckling (Hg.): Handbuch Drogen in sozial- und kulturwissenschaftlicher Perspektive (Hess)
Christiane Howe/Lars Ostermeier (Hg.): Polizei und Gesellschaft. Transdisziplinäre Perspektiven zu Methoden, Theorie und Empirie reflexiver Polizeiforschung (Grutzpalk)
Matthias Quent: Rassismus, Radikalisierung, Rechtsterrorismus. Wie der NSU entstand und was er über die Gesellschaft verrät. (Schiek)
Carolyn McKay: The Pixelated Prisoner. Prison Video Links, Court ‘Appearance’ and the Justice Matrix. (Zurawski)
Informationen
Neue Buchreihe: "Soziale Probleme. Konstruieren und Verwalten."