Ausgabe Nr. 1/2024
Kriminologisches Journal 1/2024
Inhalt
Aufsätze
Recht, Gewalt und Protest: Zur Genese und Funktion des strafrechtlichen Gewaltbegriffs
Aldo Legnaro
Die Klima-Proteste der Letzten Generation haben die strafrechtliche Definition von Gewalt wieder in den Mittelpunkt juristischer, politischer und gesellschaftlicher Diskussionen gerückt. Diese Definition ist im Laufe der letzten 60 Jahre verändert und weiterentwickelt worden, wie an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gezeigt wird. Beide Gerichte setzen unterschiedliche Akzente, deren generative Prinzipien sich als Fiktionalisierung und als Kontextualisierung des Gewaltbegriffs beschreiben lassen. Fiktionalisierungen, die tendenziell eine Einschränkung der Demonstrationsfreiheit bewirken, nimmt vor allem der BGH vor, während das BVerfG eher zu Kontextualisierungen neigt und damit eine demonstrationsfreundliche Rechtsprechung ermöglicht.
„Zwischen Block-Romantik und Krise“– Ethnografische Ergebnisse zur symbolischen Aneignung ,unsicherer‘ Räume im Kontext Gangsta-Rap
Julia Rieger
Der Artikel beschäftigt sich – ausgehend von empirischen Ergebnissen aus einer ethnografischen Studie zur Rezeption und Aneignung von Gangsta-Rap – mit der Bedeutung lokaler Verortung in als ‚unsicher‘ konstruierten städtischen Räumen. Hierbei wird die Alltagsperspektive jugendlicher Rezipient:innen, die sich in entsprechenden Räumen verorten, in den Vordergrund des Erkenntnisinteresses gerückt. Es werden unterschiedliche Strategien im Umgang mit Fremdzuschreibungen herausgearbeitet, welche insbesondere die eigenmächtige Stilisierung durch Bezugnahmen auf das popkulturelle Phänomen Gangsta-Rap umfassen. Die Analyse des ethnografischen Datenmaterials eröffnet somit einen Blick auf subalterne Entwürfe ,unsicherer‘ städtischer Räume im Rahmen ihrer symbolischen Aneignung.
Polizeigesetzgebung in Zeiten autoritärer Konjunktur. Eine historisch-materialistische Politikanalyse der Reform des nordrhein-westfälischen Polizeigesetzes 2018
Paul Häfner & Nils Münger
Anhand der Polizeigesetznovelle in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2018 werden mittels einer historisch-materialistischen Politikanalyse die Interessen und die politische Einflussnahme institutionalisierter und zivilgesellschaftlicher Akteur*innen auf den Novellierungsprozess untersucht. Durch die qualitative Analyse von Dokumenten und Expert*inneninterviews werden Akteur*innen- und Interessenkonstellationen verdeutlicht und deren Dynamik nachgezeichnet. Dabei wird die machtvolle Position eines autoritär-staatlichen Projekts herausgearbeitet, welches seine Forderungen trotz zivilgesellschaftlicher Proteste weitestgehend durchsetzen konnte.
Diskussionsbeitrag
Polizeigewalt und städtische Revolten in Frankreich. Der Sommer 2023
Fabien Jobard
Im Sommer 2023 brach in Frankreich eine Welle städtischer Revolten aus, wie sie das Land noch nie erlebt hatte: Ein halbes Tausend Städte waren betroffen, mehr als 10.000 Fahrzeuge wurden in Brand gesetzt, sowie nahezu 300 Gebäude der Polizei oder Gendarmerie und mehr als 100 Rathäuser. Der Artikel geht auf die unmittelbaren Ursachen dieser Explosion ein und analysiert mit einem vergleichenden Blick auf die Aufstände von 2005 die möglichen Auswirkungen dieser Unruhen auf die Beziehungen zwischen der Politik und der unterprivilegierten Jugend einerseits und zwischen der Politik und der Polizei andererseits in einem Kontext, in dem ein tödlicher Polizeischuss zwar der Auslöser der Unruhen war, die Polizei aber gegen
jegliche Kritik seitens der Regierungsverantwortlichen immun geblieben ist.
Im Gespräch
Zur Wissenschaftsfreiheit in der kriminologischen Forschung. Im Gespräch mit Hans-Jürgen Kerner, Marion Näser-Lather & Mark Stemmler
Dörte Negnal & Stephanie Schmidt
Buchbesprechungen
Sarah Colvin: Shadowland. The Story of Germany told by its Prisoners (Graebsch)
Andrea Kretschmann: Simulative Souveränität. Eine Soziologie politischer Ordnungsbildung (Fritsch)
Helge Peters: Eine konstruktivistische Soziologie sozialer Probleme (Jukschat)