Ausgabe Nr. 3/2016
Themenheft "Strafvollzug und Kritik"
Inhalt
Überlegungen zum Abolitionismus heute
Knut Papendorf
Einleitend wird an die Anfänge des Bewegungsabolitionismus in den nordischen Ländern Ende der 1960er Jahren und seine Verästelungen in die deutschsprachige akademische kriminalsoziologische Diskussionen erinnert. Danach wird die Konstatierung eines penal exceptionalism durch John Pratt für die nordischen Länder vorgestellt und u. a. durch Länderberichte aus Dänemark und Nor we gen kon tras - tiert, die eher den Schluss auf eine zunehmende Punitivität erkennen lassen. In einem weiteren Schritt wird sodann der Frage mit Fokus auf die norwegischen Sozialwissenschaften nachgegangen, ob diese sich allzu sehr von einem negativ konnotierten Forschungsinteresse haben leiten lassen. Diesem Kritikansatz wird bezogen auf das Gefängnis die These gegenübergestellt, dass die Abschaffungsthese aufrechtzuerhalten sei, was aber gleichzeitig eine Humanisierung des Gefängnisses nicht ausschlösse. Schließlich wird Matthiesens Denkmodell eines abolitionism as a stance in die Diskussion eines breiter ansetzenden befreiungstheoretischen Konzeptes eingebettet.
Hearing the voice of the estranged Other: Abolitionist ethical hermeneutics
David Scott
Der Beitrag untersucht aus einer abolitionistischen Perspektive ethisch-politische Argumente für die Anhörung von Gefangenenstimmen. Er beginnt mit der Verortung der Interpretation von Gefangenenerzählungen innerhalb des spezifischen moralischen Kontextes des Gefängnisses, und fährt damit fort, zu prüfen, ob die Mitsprache der Gefangenen tatsächlich durch eine Diskursethik gesichert werden kann. Nachdem Stärken und Schwächen der Diskursethik und deren Anwendung in der liberalen pönologischen Forschung identifiziert werden, wendet sich die Diskussion der alternativen kritischen Theorie der Befreiungsethik zu. Enrique Dussel (2013) argumentiert, dass wir eine ethisch-politische Verantwortung haben, nicht nur jene materiellen Bedingungen sicherzustellen, die eine Mitsprache erleichtern, sondern uns auch die Weltsicht der Ohnmächtigen anzueignen. Während eine solche Position nicht unkritisch übernommen werden kann, wird für eine selektive Aneignung der Gefangenenstimme argumentiert, die mit dem abolitionistisch-normativen Rahmen der För - derung emanzipatorischer Politik und Praxis im Einklang steht. Der Artikel endet mit einer Betrachtung normativer Prinzipien, an denen sich Abolitionist_innen orientieren können, wenn Gefangenenstimmen zum Schweigen gebracht werden.
Theorie und Empirie deutschsprachiger Strafvollzugsforschung. Ein Zwischenruf.
Holger Schmidt
Der Beitrag stellt Beobachtungen zu Eigenheiten und Tendenzen der deutschsprachigen Strafvollzugsforschung zur Diskussion und plädiert für einen empirischen Zugang, der sich durch eine theoretische, methodische und thematische Pluralität sowie eine größere soziologische Neugierde auszeichnet.
Praxisberichte
Kritische Reflexion und Reformvorschläge unerwünscht?
Joachim Walter
Der Autor war - nach Tätigkeit im Erwachsenenvollzug - über 20 Jahre Leiter einer großen Jugendstrafanstalt. Er hat in dieser Funktion unzählige Berichte an die zuständige Aufsichtsbehörde zu verfassen gehabt, die häufig den Istzustand des Jugendstrafvollzugs einer kritischen Betrachtung unterzogen und konkrete Reformvorschläge enthielten. Er hat an zahlreichen Kommissionen und Arbeitsgruppen mitgewirkt sowie weit über 100 Fachbeiträge veröffentlicht. Nachfolgend wird an einige dieser Vorschläge und die (Nicht-)Reaktion der Aufsichtsbehörden erinnert.
Buchbesprechungen:
Dominique Moran: Carceral Geography. Spaces and Practices of Incarceration (Richter)
Gabriele Kawamura-Reindl und Sabine Schneider: Lehrbuch Soziale Arbeit mit Straffälligen (Vietig)