Ausgabe Nr. 1/2019
Themenheft: "Soziale Arbeit und Soziale Kontrolle"
Inhalt
Editorial: Soziale Arbeit und Soziale Kontrolle
Sylvia Kühne, Christina Schlepper und Jan Wehrheim
Hilfe als Konditionalprogramm: Eine Systematisierung sozialer Kontrolle als Kernaufgabe Sozialer Arbeit
Bernd Dollinger
Der Beitrag nimmt die gleichsam ,klassische‘ Frage der Sozialen Arbeit wieder auf, die nach dem Zusammenhang von Hilfe und Kontrolle. Nachdem die ältere (selbst-)kritische Debatte der 1960er und 1970er Jahre längst verflogen ist, hat es sich zum Standard-Lehrbuchwissen entwickelt, von einer Dualität bzw. Dialektik von Hilfe und Kontrolle auszugehen, die in der Sozialen Arbeit untrennbar verbunden seien. Der vorliegende Beitrag kritisiert dies. Es wird moniert, dass die vorherrschende Deutung dieses Zusammenhangs implizit ein ,reines‘, ,unschuldiges‘ Hilfeverständnis inthronisiert, dem eine leider nicht abzuschüttelnde ,schlechte‘ Kontrolle zur Seite stünde. Dies ist unzureichend, denn Soziale Arbeit ist primär ein spezifischer Modus sozialer Kontrolle. Sie tritt (meist) in der wohlmeinenden Form der Hilfe auf, konstitutiv bleibt für sie allerdings die Kontrolldimension. Dies wird in systematischen, historischen und empirischen Referenzen illustriert.
Warum ich mich für den Umgang von Sozialarbeiter_innen mit Devianten interessierte. Biographische und soziologische Anmerkungen
Helge Peters
In „Die sanften Kontrolleure“ zeigten Helga Cremer-Schäfer und ich, dass Sozialarbeiter_innen zu Beginn der 1970er Jahre zwar soziale Kontrolle ausübten, trotzdem aber meist im subjektiven Interesse ihrer Adressat_innen handelten. Es ging ihnen nicht um Verantwortlichkeitszuschreibungen und Schuldfeststellungen. Neuere Untersuchungen kommen zu anderen Befunden. Ich versuche, diesen Wandel mit Hinweisen auf post-wohlfahrtsstaatliche Entwicklungen zu erklären, die Sozialarbeiter_innen stärker polit-ökonomisch begründeten Einflüssen aussetzen als Sozialarbeiter_innen, die zu Zeiten der „Die sanften Kontrolleure“ tätig waren.
Wie Sozialarbeiter_innen Devianz zuschreiben. Eine diachrone Analyse von Praktiken des legal reasonings in der Jugendgerichtshilfe
Sylvia Kühne und Christina Schlepper
Dieser Beitrag untersucht, wie sich die Praktiken der Zuschreibung von Devianz von Sozialarbeiter_innen in der Jugendgerichtshilfe im Vergleich zu den 1970er Jahren verändert haben. Es zeigt sich, dass die Fachkräfte sich dabei nach wie vor von ihrem beruflichen Handlungsauftrag leiten lassen und nicht etwa gesteigerten Kontroll- und Straforientierungen folgen, wie es die aktuelle wissenschaftliche Diskussion im Kontext der Transformation zum aktivierenden Staat und um einen neuen Kontrolldiskurs in der Sozialen Arbeit nahelegen würde. Der Blick auf diese Praktiken offenbart gleichwohl einen Wandel, wonach insbesondere die zunehmende Ausrichtung am Hilfeauftrag für die Justiz eine einstmals instanzenkritische Haltung und eindeutige Parteinahme für die Adressat_innen zu verdrängen scheint.
Die Allianz von Verbrechen & Strafe und Schwäche & Fürsorge zwischen Sozialer Kontrolle und sozialer Ausschließung oder: weshalb soziale Kontrolle doch untauglich wurde, Ausschließung zu kontrollieren
Helga Cremer-Schäfer
Die Idee, Formen sozialer Ausschließung (staatlich organisierte Bestrafung, Einsperren in totalen Institutionen, Verwaltung des Ausschluss-Etiketts „Verbrechen“) durch wohlfahrtsstaatliche Kontrolle („Resozialisieren“) zu zivilisieren, wird als ein höchst voraussetzungsvolles „soziales Artefakt“ rekonstruiert. Politische und ideologische Voraussetzungen dafür waren nur während der relativ kurzen Phase eines prosperierenden Fordismus gegeben. Die Institutionalisierung der Koexistenz „sanfter Kontrolle“ von Devianz mit permanenter Moralpanik, mit Ideologieproduktion und der Nutzung von Strafrecht als Instrument der „Bekämpfung“ von Kriminalität, Terrorismus, Gewalt, Drogen usw. endete in fortschreitender Auflösung der Möglichkeiten, dem neoliberalen instrumentellen Turn – der Rehabilitierung von Punitivität – etwas entgegen zu setzen. Soweit von Professionellen in Institutionen gegen die Logik von Punitivität ein ambivalentes „Unterleben der Anstalt“ organisiert wird, kann dieser Praxis durch radikale Herrschaftskritik und kritische Alltagsforschung eine Stimme gegeben werden.
Notat
Soziale Kontrolle
Birgit Menzel
Handlungen und Mechanismen, mit denen Normen und gesellschaftliche Ordnung aufrechterhalten werden (sollen), werden in der Soziologie als soziale Kontrolle bezeichnet. In der (kritischen) Kriminologie dagegen wird soziale Kontrolle häufig in einem eingeschränkten Begriffsverständnis benutzt und mit strafrechtlicher Kontrolle gleichgesetzt. Der Beitrag will an zwei Beispielen der Entwicklung sozialer Kontrolle zeigen, dass sowohl das erklärende als auch das aufklärende Potenzial des Begriffs durch die verbreitete kriminologische Engführung zu wenig genutzt wird.
Tagungsbericht
"Abschaffung de Rechts". Bericht über den vierten Kongress der deutschsprachigen Rechtssoziologie-Vereinigung vom 13. bis 15. September 2018 an der Universität Basel (Busch/Zech)