Kriminologie und Public Health - Call for Abstracts

Call for Abstracts für ein Themenheft "Kriminologie und Public Health"

Das Kriminologische Journal plant für den Herbst 2023 ein Themenheft zum Thema "Kriminologie und Public Health". Den dazu passenden Call for Abstracts (Einreichungsfrist: 15.10.2022) finden Sie untenstehend. Beiträge können sich dem Themenfeld Kriminologie und Public Health aus den verschiedensten Blickwinkeln nähern. Historische Analysen oder Überblicksdarstellungen sind ebenso vorstellbar wie die Thematisierung aktueller Diskurse, Probleme, Theoriedebatten oder Entwicklungen. Einreichungen durch Nachwuchswissenschafler*innen sind explizit erwünscht. Einreichungen in englischer Sprache sind möglich.


 Call for Abstracts

In der „guten Policey“ bzw. den Polizeiordnungen der Frühen Neuzeit versuchten die Herrschenden der damaligen Zeit so ziemlich alle Aspekte des Gemeinwesens zu ordnen und im Sinne einer herrschaftsstabilisierenden Sicherheitsordnung zu regulieren. Dies betraf sowohl die Innere Sicherheit als Schutz vor Verbrechen, Gewalt usw. als auch – im Sinne einer ‚medicinischen Polizey‘ – die Regulierung der öffentlichen Gesundheit. Mit der Zeit entwickelten sich hierbei einerseits exekutive Institutionen, die Vorläufer der heutigen Polizeien, die die Durchsetzung der geschaffenen Regeln kontrollieren sollten. Andererseits kam es gerade ab dem 19. Jahrhundert zu einer Ausdifferenzierung der jeweiligen Politikbereiche, die mit einer disziplinären Trennung und Spezialisierung einhergingen. Dies brachte die bis heute existierenden Disziplinen der Kriminalistik und Kriminologie einerseits und Medizin und Public Health andererseits hervor, die weitestgehend nebeneinander existieren. Sowohl Public Health als auch die Kriminologie haben vor diesem Hintergrund je eigene, distinkte Diskurse, Forschungsprogramme und Anwendungsbereiche entwickelt, die sich zumeist nur in „Randbereichen“ überschneiden. Beispiele hierfür sind z.B. die forensische Medizin/Psychologie oder das Themenfeld der Drogen- und Suchtkontrolle.

Die vergangenen zweieinhalb Jahre Corona-Pandemie zeigten jedoch eindringlich, wie eng Public Health und Kriminalitätskontrolle auch jenseits solcher Beispiele miteinander verschränkt sind: Mit der ansteigenden Infektionskurve von SARS-CoV-2 vermehrten sich seit Frühjahr 2020 die Verhaltensweisen, die von Politik und Wissenschaft als riskant und gesundheitsabträglich eingestuft und von den Ordnungsbehörden kontrolliert und geahndet wurden: Ausgangssperren, Abstandsregeln und Quarantänevorschriften wurden polizeilich kontrolliert und durchgesetzt; Menschen, die zu viert ein Picknick auf einer Wiese einnahmen, wurden von der Polizei aufgefordert, dies zu unterlassen; Personen, die ‚unmaskiert‘ ein Geschäft betraten oder mit gültigem Fahrschein, aber ohne Mund-Nasen-Schutz den ÖPNV benutzten, wurden dreistellige Bußgelder auferlegt; Restaurants, in denen die Tische nicht weit genug auseinander standen, drohte die polizeilich durchgesetzte Schließung; und Anfang Januar 2021 standen kurzzeitig nicht etwa ‚Terroristen‘, die Anschläge planten, im Fokus von Medien, Politik und Polizei, sondern vor allem ‚Touristen‘, die Ausflüge in Schneegebiete unternahmen. ‚Normale‘, mehr oder weniger gesellige Verhaltensweisen wurden gewissermaßen über Nacht zu moralisch verwerflichen und devianten Handlungen, die man nicht nur durch Apelle aktiver sozialer Kontrolle zu verhindern suchte, sondern die zugleich auch zum Anlass reaktiver (staatlicher) sozialer Sanktionen wurden. Maßnahmen dieser oder ähnlicher Art sind selbstverständlich nicht neu, sondern wurden im Falle von Epidemien auch in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder ergriffen.

Bei genauerer Betrachtung zeigen sich allerdings auch in weiteren Bereichen Überschneidungen und Parallelen zwischen Public Health und Kriminalitätskontrolle. Hatte bereits Talcott Parsons Krankheit als abweichendes Verhalten bezeichnet, dessen sich Ärzte und Ärztinnen im Sinne sozialer Kontrolle anzunehmen hätten, so ist heute z.B. die Fachdebatte in beiden Bereichen von ähnlichen Risiko-, Schutz- und Präventionsdiskursen geprägt, Techniken der Verarbeitung großer Datenmengen (Big Data) finden Einzug und Tendenzen der Responsibilisierung von Individuen verbreiten sich in beiden Arbeitsbereichen. In der Praxis zwar oftmals unbemerkt und vielleicht auch unbeabsichtigt, lässt sich daher zwar eine gegenseitige Beeinflussung beider Forschungsbereiche feststellen – beispielsweise durch die Medikalisierung sozialer Probleme oder der Kriminalisierung gesundheitsbezogener Verhaltensweisen – doch direkte Kontakte sind – zumindest im deutschsprachigen Raum – eher selten.

Anders sieht es an angelsächsischen Universitäten und Forschungseinrichtungen aus. Hier mischt sich Public Health seit einigen Jahren verstärkt in gesellschaftspolitische Debatten auch mit Kriminalitätsbezug ein. So wird dort mit Blick auf die massiven Inhaftierungsraten und durchaus auch aus einer abolitionistischen Perspektive von einer „incarceration pandemic“ gesprochen, die insbesondere auch die Gesundheit der Communities stark beeinträchtige. Zugleich wird versucht, eine epidemiological criminology aufzubauen, Radikalisierungstendenzen mit Methoden der Gesundheitsforschung zu untersuchen oder unter Einbeziehung von Public Health-Perspektiven zu einer Polizeireform in den USA beizutragen. Kriminalität, so die Kernaussage, könnte und sollte auch als Public Health-Phänomen verstanden und in Kooperationen von Polizei und Public Health-Fachkräften bearbeitet werden.

Das geplante Themenheft des Kriminologischen Journals soll diese Debatten und Diskurse der deutschsprachigen Fachöffentlichkeit vorstellen und zugänglich machen. Zentral ist die Frage, was eine Public Health-Perspektive auf Abweichung und soziale Kontrolle zu (kritisch-)kriminologischen Diskursen beitragen kann und umgekehrt. Dabei soll auch thematisiert werden, welche Schwierigkeiten, Fallstricke und Risiken mit einer „Vergesundheitlichung“ von Kriminalität, Abweichung und sozialer Kontrolle und der Forderung nach „health in all policies“ verbunden sein können.

Frist zur Einrichtung von Abstracts: 15.10.2022

Rückmeldung zu den Abstracts: 01.11.2022

Frist zur Einreichung der Beiträge: 01.03.2023

Rückmeldung /Peer-Review: 15.04.2023

Einreichung überarbeiteter Beiträge: 01.06.2023

Erscheinungsdatum des Heftes: September 2023

Wie dem Ablaufplan entnehmbar ist, durchlaufen alle eingereichten Beiträge ein Peer-Review Verfahren (double blind), das von der Redaktion des Kriminologischen Journals organisiert wird. Englischsprachige Beiträge erscheinen in Absprache mit dem Verlag kostenfrei als Open Access-Beitrag.

Sollten mehr qualitativ hochwertige Abstracts und Beiträge eingereicht werden, als Platz in der Printausgabe des Themenheftes ist, so können diese in folgenden Ausgaben des Kriminologischen Journals als Einzelbeiträge bzw. in Absprache mit dem Verlag zuvor auch als Online First-Beitrag erscheinen.

Kontaktadresse zur Einreichung von Abstracts oder für Nachfragen: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Herausgeber*innen des Themenheftes: Katja Thane, Henning Schmidt-Semisch und Dirk Lampe

Aktuelles

Center for interdisciplinary Crime Studies (CiCS)

Crime as a Process. Insights into the Dynamics of a Traveling Concept - Erste Tagung des CiCS

Am 04. und 05. Oktober 2024 findet unter dem Titel "Crime as a Process. Insights into the Dynamics of a Traveling Concept" die erste interdisziplinäre und internationale Tagung des "Center for interdisciplinary Crime Studies (CiCS)" an der Universität Siegen statt. Die Tagung ist zudem der öffentlich sichtbare und feierliche Auftakt für die Forschungsaktivitäten des Zentrums!

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„Erzählungen (in) der Kriminologie“

Tagung der Gesellschaft für interdisziplinäre wissenschaftliche Kriminologie (GiwK)

Aufruf zur Beitragseinreichung für eine von der Gesellschaft für interdisziplinäre Kriminologie (GiwK) organisierte Tagung „Erzählungen (in) der Kriminologie“, die nach aktueller Planung im März 2025 stattfinden soll.

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Nachrichten aus der Redaktion

Mit dem Erscheinen von Heft 3/2023 haben sich folgende Veränderungen in der Redaktion des Kriminologischen Journals ergeben. Ausgeschieden ist Andrea Kretschmann, während Roman Thurn, Philipp Knopp und Nils Schuhmacher neu zur Redaktion gestoßen sind. Die Redaktion und der Herausgeber*innen-Kreis bedankt sich ausdrücklich bei Andrea Kretschmann für die geleistete Arbeit in den vergangenen Jahren. Andrea Kretschmann bleibt dem Kriminologischen Journal als Herausgeberin erhalten.

DFG-Graduiertenkolleg "Folgen Sozialer Hilfen"

Tagung am 07./08. September 2023

Die Tagung wird von Kollegiat*innen der ersten Kohorte des DFG-Graduiertenkollegs „Folgen sozialer Hilfen“ organisiert und findet am 7./8. September 2023 an der Universität Siegen (Campus Unteres Schloss) statt. Sie richtet sich an ein interessiertes Fachpublikum aus der theoretischen und empirischen Forschung der Erziehungswissenschaften, Soziologie und Psychologie. In Keynotes, Panelbeiträgen und Postersessions werden die folgenden Themenfelder vorgestellt und diskutiert:

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Kriminologisches Sommerfest 01.07. Berlin

Kriminologiches Sommerfest von GiwK und KrimJ am 01.07.2023 in Berlin

Die Zeitschrift Kriminologisches Journal (KrimJ) und die Gesellschaft für interdisziplinäre wissenschaftliche Kriminologie (GiwK) lade ein zum Sommerfest mit Getränken & Snacks, Preisverleihung des Fritz-Sack-Preises und Buchvorstellung: Marxism and Criminology. A History of Criminal Selectivity von Valeria Vegh Weis.

Ort: Humboldt-Universität zu Berlin, Ziegeleistraße 4

Zeit: 16:00 Uhr

Die Teilnahme ist kostenlos. Für die Planung bitten wir um Anmeldung bis spätestens 20.06.23 unter: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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