Ausgabe Nr. 1/2021
Kriminologisches Journal 1/2021
Inhalt
Aufsätze
San Quentin Blues. Autoritäre Einstellungen von „Kriminellen“ in The Authoritarian Personality
Andreas Kranebitter
In „The Authoritarian Personality“ von Theodor W. Adorno, Else Frenkel-Brunswik, Daniel J. Levinson und R. Nevitt Sanford waren Fragebögen- und Tiefeninterviews mit Gefangenen des kalifornisches Gefängnisses San Quentin eine wichtige empirische Grundlage für theoretische Interpretationen. „Kriminelle“ seien besonders autoritär eingestellt und damit der „recruiting ground for a fascist movement“. Die Rekonstruktion des methodologischen Vorgehens in San Quentin legt allerdings Mängel frei, die der für die Forschung verantwortliche William R. Morrow in Memoranden teilweise thematisiert hatte: Die Antworten der Gefangenen waren u. a. ihrer Zustimmung zur psychiatrischen Respektsperson in einer autoritären Situation und den Bedingungen einer hierarchisierten Häftlingsgesellschaft geschuldet. Der Beitrag geht der Frage nach, wie die Lebens- und Interviewsituation der Gefangenen deren Antworten inhaltlich beeinflusste, und fragt so nach der Anregung, die die Autoritarismus-Studien der Kritischen Theorie der heutigen kritischen Kriminologie bieten können.
Legitimation und Vertrauen. Prozesse und Mechanismen der Sozialisation in brauchbare Illegalität
Mark Schäfers
In Jugendreiseorganisationen werden Betreuende dazu angehalten, rauchende Teilnehmende trotz eines bestehenden Rauchverbotes weitestgehend gewähren zu lassen. Dieser Fall wird als brauchbare Illegalität erfasst und anhand seiner Analyse wird herausgearbeitet, wie die Einführung in eine bereits bestehende derartige Praktik erfolgt. Neben ohnehin latent ablaufenden Sozialisationsprozessen werden angehende Betreuende dazu erzogen, die Praxis als legitim zu verstehen. Das Verständnis dieser abweichenden Praktik als gerechtfertigtes und im Sinne der Organisation richtiges Verhalten ermöglicht eine allgemeine Akzeptanz der Verhaltenserwartung, sodass ein damit weitgehend konformes Verhalten der Mitglieder von Jugendreiseorganisationen gewährleistet wird, ohne dass die Legalität dieser Praxis hinterfragt wird.
Der Kommunale Außendienst. Die Verfolgung öffentlich sichtbarer Armut am Beispiel der Münchner Kommunalpolizei
Roman Thurn
Der Münchner Hauptbahnhof gilt als besonders kriminalitätsbelastet. Die Stadt München erließ daher Sonderverordnungen, um bestimmte Formen des Bettelns und den Konsum von Alkohol zu unterbinden und damit praktisch öffentlich sichtbare Armut aus dem Stadtbild zu verbannen. Die Stadt richtete zudem eine kommunale Polizeibehörde ein, die um den Hauptbahnhof patrouilliert. Deren Einsatzpraxis wird im vorliegenden Beitrag näher untersucht. Sie soll durch Präsenzpolicing das Sicherheitsgefühl der Bürger*innen stärken sowie die Durchsetzung der Verordnungen gewährleisten. Es zeigt sich, dass sich die Behörde zwar durch einen tendenziell fairen Umgang mit ihrer Klientel im Sinne der Theorie der procedural justice auszeichnet, aber aufgrund ihres Aufgabenbereichs vor praktischen wie auch legitimatorischen Problemen steht, welche durch Bürgernähe allein nicht gelöst werden können.
“Now Is Not The Time For Parties!” The Construction Of Public Health, Problematic Youth And Moral Panic (Englisch)
Hares Sarwary & Jan Opper
Damit sie fassbar werden, stützen sich Krisen im Bereich der öffentlichen Gesundheit (Public Health Emergencies, PHEs) auf in Diskursen vermittelte Narrative und die Reaktionen auf PHEs greifen auf solche Narrative zurück. In der Anfangsphase der COVID-19 Krise in Deutschland drehte sich ein bedeutsames Narrativ mit Einfluss auf Gegenmaßnahmen um junge Menschen, die sich an Corona Partys beteiligen. Auf Basis einer qualitativen Inhaltsanalyse von deutschen Zeitungsberichten aus dem März 2020 deuten unsere Ergebnisse deutlich darauf hin, dass das Narrativ der Corona Partys auf eine moralische Panik hinauslief, welches sich auf etablierte Narrative einer problematischen Jugend stützte und letztlich zur Einführung von Kontaktverboten und weiteren Restriktionen als Reaktion auf die COVID-19 Krise beitragen konnte.
Tagungsbericht
Quo vadis Qualitative Kriminologie? Bericht über die Onlinetagung am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen e. V. (KFN) vom 04.-05. November 2020 (Jukschat/Leimbach/Neubert)